POESIE
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![]() Martina liest ein Gedicht |
Hans-Jürgen Döpp
„Unfrisiertes Lachen“
- Zu den
neuesten Gedichten von Martina Kügler -
Schwindel ergreift den, der versucht, Martinas
irrwitzige Wortschöpfungen nach ihrem semantischen Sinn und syntaktischen Bezug
zu befragen. Ihre Worte sind Zeichen, die nichts als ihre eigene Klanggestalt
bezeichnen, auch wenn sie im Augenblick die Vorstellung von etwas Bezeichnetem
evozieren. Schon die nächste Wort-Verknüpfung lässt diese Vorstellung in den
Abgrund der Sinnlosigkeit hinabtrudeln. Willkürlich und oft assoziativ bestimmt
reihen sie sich aneinander, simulieren Sinn, der jedoch sich einem Verstehen
verweigert.
Einfälle, ja, Zu-fälle sind
es, die den Ausgangspunkt von Martinas Texten bilden; in freier Assoziation
hangeln die Worte sich voran, auch wenn`s nach der kindlichen Methode „Reim`
dich oder ich fress` dich“ über Stock und Stein
weiterholpert.
Die grundsätzlichen Funktionen der Sprache: ihre
Repräsentations- und ihre Kommunikationsfunktion, werden hier außer Kraft
gesetzt; negiert. „Blödsinn“ nennt Martina selbst das Ergebnis der
Worte-Spielerei. Ihr Effekt ist oft erheiternd, zuerst einmal und vor allem für
die Worte-Jongleurin selber. Sie, die ihr Leben weitgehend in Einsamkeit
verbringt, holt die ihr fast abhanden gekommene Welt per Wort-Einfälle ins Haus,
und da es keinerlei pragmatisch-reale Verantwortlichkeit für die bezeichneten
Dinge gibt, kann sie diese in freier Anarchie durcheinanderrütteln, bis die
Worte-Funken stieben. Dann lacht Martina über die unter ihrer Hand entstandenen
Geistesblitze. „Ich sitze wie eine Kröte unter einem Stein – und warte, dass die
Sonne aufgeht!“ Die Sonne: das sind ihr die sprühenden Funken, die sie aus dem
Aufeinandertreffen unvereinbarer Vorstellungen schlägt. „Dichten“ ist ihr ein
solipsistisches Vergnügen.
Oft sind es surreale Absurditäten, einer wilden
Kopulation von miteinander unvereinbaren Begriffen entsprungen; so ´schön wie
die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf dem Seziertisch´.
Die „freie Assoziation“ ist in der Freud`schen Technik
eine unentbehrliche Methode, das Unbewusste zu erforschen. Ein Analytiker könnte
nun versucht sein, noch aus dem Abseitigen dieser Texte die Stimme des
Unbewussten herauszuhören: vergeblich wird er danach suchen. Auch einem
latenten, unbewussten Sinn entziehen sich diese Texte. Es sei denn, man sieht
ihre Thematik in einer Fragmentierung der Welt – und, komplementär, des Selbst.
Nichts wollen die Worte meinen – außerhalb ihrer
Lautgestalt. Analog zur abstrakten Malerei hat Sprache keine abbildende
Funktion, sondern wird rein formal als Lautmaterial verwendet. Wie in der
modernen Malerei die Farbe sich nicht länger der Schilderung der Objektwelt
unterordnete, verselbständigte sich hier der Lautklang des Wortes. Der gleichen
Tendenz begegnen wir in der Musik, die nichts mehr ausdrücken und schildern will
– als sich selbst.
Martinas Gedichte entstehen ihr quasi „unter der Hand“.
Es sind bis zu zwölf Gedichte, die pro Tag entstehen. Die Methode ihres
Schreibens lässt an das von den französischen Surrealisten entwickelte
automatische Schreiben als künstlerische Technik denken. Sie nutzten ihre
spontanen Notationen von Einfällen als Mittel der Inspiration und
Selbsterkenntnis.
Die Sinn-Simulation ihrer Texte lässt diese nicht ganz
aufgehen in reine Lautpoesie. Doch steht Martina hier in einer Tradition, die in
der deutschen Literatur zurückgeht auf die Dichter des Dada, auf Hugo Ball,
Johannes Theodor Baargeld, Raoul Hausmann, Hans Arp und Kurt Schwitters. Im
Unterschied zu Schwitters´ onomatopoetischen Gedichten wahrt Martina noch den
Schein; doch wer sich vom scheinbaren Sinn anlocken lässt, stürzt in die
Fallgrube des Nonsens. - Als Beispiel sei hier Baargelds „Bimmelresonnanz II“
wiedergegeben; atmosphärisch erahnt man einen zeitbestimmten Kontext, - und doch
entzieht er sich einem Verstehen.
Bergamotten
flotten im Petroleumhimmel
Schwademasten asten Schwanenkerzen
Teleplastisch starrt das Cherimbien Gewimmel
In die überöffneten Portierenherzen
Inhastiert die Himmelbimmel
Feldpostbrief recochettiert aus Krisenhimmel
Blinder Schläger sternbepitzt sein Queerverlangen
Juste Berling rückt noch jrad die Mutterzangen
Fummelmond und ferngefimmel
Barchenthose flaggt die Kaktusstangen
Lämmergeiger zieht die Wäscheleine
Wäschelenden losen hupf und falten
Zigarrinden sudeln auf den Alten
Wettermännchen kratzt an ihrem Beine
Bis alle Bimmeln angehalten
Unsinns-Poesie - Sinnverlust als Sinn? Aus neuerer Zeit
sind hier Franz Mon, Gerhard Rühm, Oskar Pastior und Ernst Jandl zu nennen. -
Martinas Texte sind vielfach in Zeichnungen
eingeschrieben, die uns ein quasi „szenisches Verstehen“ gestatten. Es sind
einsame weibliche Gestalten, beinahe körperlos, die groß- und leeräugig vor sich
hin blicken. Der Körper ist auf seine Extremitäten reduziert. Die
saugnapf-ähnlichen Fingerkuppen, zugleich ein die Zeichnung rhythmisierendes
ästhetisches Element, greifen ins Leere. Ihren oft mit einer einzigen
durchgehenden Linie gezeichneten Gestalten scheint das Zeichenblatt zu eng zu
sein: sie füllen das Blatt aus, sind raumsprengend, wollen der Begrenzung des
Blattes entrinnen. Sie müssen sich fügen; einfügen in die Rechtwinkligkeit des
Blattes, das, bei aller Entgrenzung, die erste und letzte Ordnungs-Vorgabe
bleibt.
Die Wort-Bild-Akrobatin Martina Kügler zeigt in ihren
Texten eine Freiheit und Ungebundenheit, die sich der Entgrenzung in absoluter
Einsamkeit verdankt. Eine Freiheit, der die Welt abhanden kam. Die Welt ging
verloren; aber es bleiben die Worte. Martina: „Das Wort ist am mächtigsten nur
in der Einsamkeit“.