ÖLKEIDE-ZEICHNUNGEN

     
     
     
     
     
  Zu Marquis de Sade:  
     
     

 

EINE GLüHENDE SADOPHONIE

  -    Zu Martina Küglers Sade-Zyklus -

 Sade illustrieren - aber wie? Und vor allem: welchen Sade? Den kühlen, analytisch sezierenden, aufgeklärten Sade? Sade - den Konstrukteur einer erotischen Ordnungsidee? Oder Sade - den Verfechter einer anarchischen Imagination? Sade - den trotz Inhaftierung nicht zu Bezwingenden? - Oder soll man vielmehr den Reflex darstellen, den Sades Schriften in ihren Lesern hervorrufen: Sade - das Monster? Sade - der “Göttliche Marquis“?

Martina Kügler illustriert nicht de Sade. Aber ihre Bilder sind seinem Werk kongenial. -

“Man hat behauptet“, schrieb Simone de Beauvoir, “Sade habe sich in der weinerlichen Justine dargestellt; ich glaube jedoch, daß ihm Juliette weit ähnlicher ist“. In “Justine und Juliette“ entwirft Sade ein in sich polarisiertes Bild der Frau: Ohnmacht und Allmacht stehen zueinander in einer komplementären Beziehung. Sade projizierte diese ihm eigenen inneren Anteile auf zwei gegensätzliche Figuren. Doch wie ist zu verstehen, dass er, ein Mann, seinen Konflikt in zwei Frauengestalten verlagerte?

Auch Martina Küglers imaginierte Gestalten enthalten in sich omnipotent beide Ausformungen des Geschlechtes. Sind die sexualorganischen Kämpfe, die sie in ihren energetisch aufgeladenen Bildern darstellt, mithin nur Auseinandersetzungen innerhalb jedes einzelnen Individuums? Wenn jedes Geschlecht zugleich sein Gegengeschlecht in sich trägt, dann wütet jedes Geschlecht in seiner bipolaren Zerrissenheit erst einmal gegen sich selbst. Über Ab- und Ausgrenzungskämpfe ringt im einzelnen Subjekt das Männliche mit dem Weiblichen um Vorherrschaft, um aus einer bisexuellen Potenz heraus zu einer “Geschlechtsidentität“ zu finden. Doch tendiert jede Lust letzten Endes auch wieder zur Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit, zur Auflösung der Identität in der Verschmelzung der Geschlechter. Einander widerstrebende Seelenkräfte vibrieren in

Martina Küglers Figuren. Sind es diejenigen, die auch im “Göttlichen Marquis“ miteinander im Kampfe liegen?

Freiheit von Ordnung und Tabus: dieses anarchische Ferment durchzieht sowohl Sades Texte als auch Martina Küglers Sade-Zyklus, der sich auf unregelmäßig zugeschnittenen Packpapierbögen entfaltet. Die Vehemenz ihrer Bilder verdankt sich einer anarchischen Wut, die Ausdruck eines vitalen Lebensgefühls ist. Wie dem Marquis das Schreiben, so ist

Martina das Zeichnen ein Sinnengenuß; keineswegs bloß ersetzt die Sprache bzw. das Zeichnen den Genuss. „Der Sinnengenuß“, bemerkt Sade, “hängt stets von der Phantasie ab. Der Mensch kann die Glückseligkeit nur anstreben, indem er sich allen Launen seiner Phantasie bedient“. Sades Erotik gipfelt in der Literatur. Die Libertinage ist, wie Roland Barthes nachweist, für die Sad`schen Sprachakteure zuerst ein Sprachfaktum;

Für Martina Kügler lebt sie sich im äquivalenten Medium der Zeichnung aus. Nicht nur strotzt das Geschlecht ihrer Figuren vor Energie: auch im kraftvollen Duktus ihrer Hand pulsiert der nach Lust verlangende Körper. Form und Inhalt werden von einer elementaren Kraft bestimmt. Die koloristischen Entladungen sind durchaus ein Äquivalent für die spermatischen Sades: “Die Entladungen von Saint-Fond waren brillant, kühn und schwungvoll“. Die frische Kraft ihrer Farben, die sich aus der Abhängigkeit von der Figur befreien, hat libidinösen Charakter: in der Vehemenz einer expressiven Handschrift werden Libidoströme sichtbar gemacht, die den Kampf des Geschlechtlichen überlagern. Die Farborgasmen ihrer Bilder sprengen die Eingeschlossenheit des Sexus, die Enge, in die er durch den christlich-abendländischen Zivilisationsprozess mit seinem Zwang zur Identitätsbildung eingepfercht wurde. In der Vehemenz dieser Bilder, im energetischen Potential ihrer Farben äußert sich revolthaft die Triebhaftigkeit des Es.

Derart werden die Beben, die Sades Texte auslösen, von Martina Küglers Zeichenstift eingefangen und - auf künstlerisch disziplinierte Weise - registriert. Wie Sades Texte uns schrecken, weil in ihnen etwas Verdrängtes wiederkehrt, so irritieren uns die Zeichnungen Martina Küglers: sie künden von der Urgeschichte der Subjektivität.

 

Sade zufolge besteht die Aufgabe des Romanciers in der Beschreibung des von den Normen aufgeklärten Denkens abweichenden Verhaltens, in dem Zutagefördern verschwiegener Wahrheiten. Gegenstand des Romans ist die „Natur“ im Sinne der geleugneten Natur. Sade und Martina Kügler hätten sich gut verstanden: Bleistift, Tinte, Feder und Papier als Mittel ästhetischer Aneignung der Wirklichkeit!

Martina Kügler arbeitet gerne bei Musik. Erlaubt dies, ihre Werke mit musikalischen Formen zu vergleichen? So wären Bellmers Sade-Illustrationen eher als kammermusikalische Stücke anzusehen. Martina Küglers Farbzeichnungen dagegen haben von ihrer Dynamik her symphonischen Charakter. In ihrer kraftvollen “Sadophonie“ glühen die provencalischen Farben aus de Sades Heimat auf. Dieser widerständige, revolthafte, unruhige Geist: er hätte sich vermutlich in diesen Blättern Martina Küglers wiedergefunden.

                                                                                                                              Hans-Jürgen Döpp